Freitag, 1. Januar 2010

Dankessöhn und auch Wiederssehn'

Hiermit verabschiede ich mich und das Bergen-Blog. Herzlichen Dank für's Lesen, es hat hoffentlich Spaß gebracht.

Freitag, 13. November 2009

Langeweile und ihre Folge

Die verdammten Nächte. Ich bin noch genau drei Wochen in Norwegen, dann geht es wieder zurück in die Heimat. Drei Wochen klingen nicht lang, als Auslandsstudent sollte man die Zeit doch eigentlich genießen. Aber bei mir ist die Luft raus. Meine wenigen Kurse sind zu Ende, einzig mein Sprachkurs verlangt es, dass ich noch zweimal in der Woche das Unigelände von Nahem sehe. Meine Klausuren schreibe ich ein Woche bevor ich fahre, das heißt ich habe effektiv noch zwei Wochen Zeit zu lernen. Aber wie motiviert man sich für Klausuren, die man nicht bestehen muss, da sie zu Hause nicht zählen?


Die Langweile hat bei mir grausame Auswirkungen. Mein Biorhytmus ist so kaputt, dass ich nachts meist nicht vor drei Uhr einschlafen kann. Die Zeit bis dahin vertreibe ich mir mit Zigarettenpausen und diversen Aktivitäten am Laptop. Online-Poker ist so eine Geschichte. Ich hatte zeitweise sechs verschiedene Poker-Programme auf meinem Rechner, damit ich zu jeder Tages- und Nachtzeit Gratis-Turniere spielen konnte. Das tue ich jetzt auch noch, allerdings schaue ich mittlerweile lieber Filme. Ich versuche mir die Klassiker anzusehen. Gestern habe ich "Der dritte Mann" gesehen, sehr zu empfehlen. Ich muss unbedingt mal nach Wien. Ich habe ja schon vor meiner Zeit in Bergen viele Filme geguckt, aber die Traumquote, die ich hier schaffe, bleibt wohl für den Rest meines Lebens unerreicht.

Bei Nacht sieht Fantoft noch viel hässlicher aus, als bei Tag. Und momentan beginnt hier die Nacht gefühlt um drei Uhr nachmittags. Natürlich könnte ich mehr Sachen unternehmen, reisen, ins Kino, in eine Bar. Aber das alles kostet Geld. Zuviel Geld, nicht nur meiner Meinung nach. Ich könnte es bezahlen, aber ich denke ich habe genug vom Land gesehen, genug Filme geschaut und genug Alkohol getrunken. In Norwegen fühlt man sich, was das Geld angeht, wie im Gefängnis. Fantoft ist deine Zelle und die unverschämten Preise die Wärter, die ein immer daran hindern, außerhalb der Zelle Spaß zu haben.

Egal, was ihnen Erasmus-Studenten erzählen: dass sie nur gefeiert haben, nur gereist sind oder nur gelernt haben. Alle haben sich schon einmal gelangweilt. Besonders jetzt, kurz vor Schluss. Allerdings glaube ich, dass die meisten anderen kreativer sind darin, sich die Zeit zu vertreiben.

Um diesem Eintrag zumindest etwas von seiner schlechten Atmosphäre zu nehmen ein amüsantes, wenn auch anscheinend historisch und politisch nicht korrektes, Zitat aus dem Film "Der dritte Mann". Der Bösewicht Harry Lime (alias Orson Welles), ein Schieber im Nachkriegs-Wien rechtfertigt seine Taten:

In den dreißig Jahren unter den Borgias hat es nur Krieg gegeben, Terror, Mord und Blut, aber dafür gab es Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance. In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe, fünfhundert Jahre Demokratie und Frieden. Und was haben wir davon? Die Kuckucksuhr!

Eine besonders aus politikwissenschaftlicher Sicht sehr interessante Aussage.

Sonntag, 25. Oktober 2009

Zweimal zum Flughafen

Nach meiner Odyssee zum Flughafen, um meinen ersten Besuch abzuholen, war ich von den Gepflogenheiten der Norweger, was den öffentlichen Personentransport angeht, etwas enttäuscht. Gewappnet mit dem Wissen um die notwendigen Signale an der Haltestelle und der (ungefähren) Verbindung zum Flughafen, traf ich mich mit dem Besuch im Bus. Der Flieger sollte planmäßig um 12 Uhr abfliegen, das gab uns ein Zeitfenster von zweieinhalb Stunden, nachdem ich um halb zehn in den Bus eingestiegen war. Das sollte genug sein, selbst mit der normalen Verbindung und nicht (siehe Eintrag "Einmal zum Flughafen") mit dem Expressbus.

Wir lagen gut in der Zeit, der Bus fuhr nach einer knappen halben Stunde am Birkelandkrysset Terminal vor, eine Art ZOB, an dem der Verbindungsbus zum Flughafen fahren sollte. Zwei Stunden vor Abflug zwei Kilometer vom Flughafen entfernt, der Check-In war totally in-time zu finishen. Das Wetter am ZOB war gut, seichte Gespräche über den Flugplan untermalten das Vogelgezwitscher in der Umgebung und nun konnte es nur noch wenige Minuten dauern, bis der Bus endlich kam.

15 Minuten Warten: Unsere Gespräche waren einer leichten Ernüchterung gewichen, die sich in unseren Gesichtern sichtbar niederschlug, wenn denn jemand dagewesen wäre, der uns gesehen hätte. Ich glaube, selbst die Vögel hatten uns alleine gelassen.

30 Minuten Warten: Nervosität stieg in mir auf, schließlich war es nur noch eine halbe Stunde bis zum Ende des Check-Ins. Mein Besuch suggerierte mir, doch ein Taxi zu rufen. Glücklicherweise sind die Taxi-Nummern in Bergen noch viel einfacher als die 4242 in meiner Heimatstadt. Sofort erleichtert, wählte ich die 07000 und wartete auf eine freundliche Stimme, die mich fragt, wo's denn hingehen soll. Die freundliche Stimme kam - vom Band. Ich verstand nicht viel, nur, dass leider alle Taxen besetzt seien. Um halb elf??? An einem Sonntagmorgen???. Ich verstehe ja nicht viel vom Taxi-Geschäft, aber dass das nicht die Stoßzeiten sind, weiß ich. Die Alternative, die 08000, konnte auch keine freien Wagen anbieten.

Resignation und Verzweiflung ergriff mich und ich hatte das große P in den Augen. Vor dem Terminal sammelten gerade Müllmänner Abfälle von einem Verkehrkreisel. Vielleicht wusste ja einer von ihnen, was man machen konnte. Schließlich unterhielt er sich gerade auch so nett mit einem Autofahrer, der spontan angehalten hatte.

Noch bevor ich dem Herren meine missliche Lagen erklären konnte, meinte er zu uns, er könne helfen. Sein Freund, der Mann im Auto, könne uns zum Flughafen fahren. Wir müssten nur sofort los. Kurz darauf saßen wir im Wagen eines gänzlichen fremden Herren mittleren Alters. Nach dem üblichen Dankeschön fragte ich ihn, woher er den Müllmann kennt. "Mit dem spiele ich jede Woche Fußball." Ob er wusste, dass dieser heute genau hier arbeite. "Nein, ich bin mit meinem Sohn herum gefahren und habe ihn getroffen."

Mein Besuch erwischte den Check-In so-what-of in-time und ich genoss die Unterhaltung auf der Rückfahrt mit meinem unbekannten Helfer.

Mein Glaube an die Menschheit ist offiziell wiederhergestellt, ganz egal, wie die Waschräume hier sind.

Montag, 19. Oktober 2009

Rechtsfreier Waschraum

Europa - Land der Kosmopoliten. Ach, was für eine Traumvorstellung das doch ist. In nicht allzu ferner Zukunft, gibt es auf die Frage "Wo kommen Sie her?" nur noch die herzergreifend, weil unglaublich weise Antwort "Aus Europa." Keine Nationalstaaten mehr, keine Konflikte um die Zugehörigkeiten diverser ethnischer Gruppen, nur noch ein riesiger Europa-Kuchen, zusammengerührt aus dem Brei verschiedener Nationen.

Dass das Erasmus-Programm, in dem ich mich befinde, dazu beitragen soll, versteht sich von selbst. Denn schließlich kommunizieren hier sämtliche europäische Identitäten miteinander, leben und arbeiten in Harmonie und kümmern sich nicht um so etwas altmodisches wie Patriotismus. Das ist zumindest die Idee.

Im Prinzip klappt das hier auch ganz gut.

Jedoch gibt es einen Ort in Fantoft, an dem die Regeln der Völkerverständigung nicht gelten. An dem das Kriegsrecht herrscht und jeder macht, was er will. Die Rede ist vom Waschraum im Erdgeschoss des Party-Blocks. Zehn Waschmaschinen und acht Wäschetrockner für die gesamte Anlage sind ein gewaltiges Konfliktpotential. Leerzeiten werden nicht geduldet, soll heißen: ist die eigene Wäsche fertig und keine andere Maschine frei, kann es passieren, dass sofort, damit meine ich sofort jemand die Tür der Maschine öffnet, die feuchte Wäsche entnimmt und oben auf die Maschine legt (besonders angenehm ist das bei einer 60-Grad-Wäsche, die dann vor sich hin dampft). Wie gesagt, geschehen solche Sachen nicht, wenn man seine Wäsche mal eine halbe Stunde vergisst, sondern bereits eine Minute nach Waschgangende. So haben es mir bereits mehrere Mitbewohner berichtet (übrigens einer der Gründe, warum sich dieses Thema im Blog niederschlägt).

Der Waschraum kennt meistens keine Harmonie unter den Nationalitäten. Manchmal sichert einen nicht einmal die Bekanntschaft zueinander ab. So musste ich neulich nach einer kurzen Grippe meine Bettwäsche heiß reinigen, um mögliche Restkeime abzutöten. Klarer Fall für 60 Grad. Ich kam extra fünf Minuten vor Ende meiner Maschine, damit sich Laken und Bezug nicht gleich wieder mit den Keimen auf Waschmaschine vollsogen. Danach wollte ich zum ersten Mal den Trockner benutzen, den ich sonst immer vermeide, da er 8 Kronen kostet und ich meine Wäsche lieber umsonst im Zimmer trockne. Allerdings war das genau der Grund, warum ich krank wurde. Naja, ein offenes Fenster kam noch dazu.

Eine Minute bevor der Waschgang durch war, lief ich an den letzten freien Trockner, stellte ihn auf deutsch ein und wählte ein Programm. Ich holte meine Wäsche, öffnete die Tür und erblickte zwei Socken. Verwirrt sah ich mich um und erblickte einen Italiener, ein bekanntes Gesicht, der mich nur dumm angrinste und sagte: "Haha, it's mine." Das Lachen habe ich mir wahrscheinlich im Nachhinein eingebildet, aber ohne das qualifiziert sich dieses Handeln als Akt der Dreistigkeit und beinahe Böswilligkeit, da ich für jedermann sichtbar, immernoch krank war. Ich war zu verblüfft, um etwas zu sagen und macht mich mit meiner dampfenden Wäsche und vor mich mich hingrummelnd auf den Weg in mein Zimmer um Tropenwald zu spielen.

Verdammtes Europa-Geschwafel.

Donnerstag, 8. Oktober 2009

Einmal zum Flughafen

Besuche von Verwandten sind immer ein Spaß, sie erinnern mich an die Heimat. Und so war ich frohen Mutes, als ich vor mich einigen Tagen Richtung Bergen Airport aufmachte, um eine Delegation in Empfang zu nehmen. Meine erste übrigens - Bergen ist dem gemeinen Westeuropäer wohl doch zu regnerisch.

Zwei Buslinien führen einen vom Wohnheim ans Ziel. Die erste ist ein Expressbus, genannt Flybussen (fly wie in "Flüwatüt", nicht wie in "to fly"), der mit ein paar Zwischenstopps direkt vor die schöne elektronische Glastür des Flughafens fährt. Für ganz billige 85 NOKs - One-Way versteht sich.
Fahre ich mich der zweiten Linie, muss zwar ich kurz vor dem Flughafen umsteigen, fahre aber auf meiner Studentenkarte und werde ebenfalls vor der schönen Glastür abgesetzt.

Eine sehr schwierige Entscheidung also.

Ich hatte den Tipp mit der Buslinie von einem Freund aus Fantoft, er half mir, die Zeiten rauszusuchen. Am nächsten Tag ging ich zeitig aus dem Haus, bei mir hatte ich alles, was ich für die Hinfahrt benötigen würde: einen Regenschirm, zwei Äpfel und drei Zigaretten. Nun wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Bus mit der Nummer 525 erscheinen würde. Mit dieser Aussicht machte es mir auch nichts aus, dass es regnete, da ich mich ja bald im Trockenen befinden würde.

Doch der Bus, Nummer 525, kam nicht. Nicht zur angekündigten Zeit, auch nicht ein Fahrplan-Intervall später. Ich wurde also ein wenig nervös, schließlich hatte ich pünktlich am Flughafen zu sein. Meine Zigaretten waren nach einer Viertelstunde verbraucht, auf die Äpfel hatte ich keinen Hunger mehr und der Regenschirm hätte ich am liebsten an der Bushaltestelle in seine Einzelteile zerlegt, wenn er denn mir gehört hätte. Glücklicherweise hatte ich noch eine andere Verbindung zum Flughafen im Kopf, dieses Mal mit dem Bus Nummer 23, der, als ich noch auf die Nummer 525 gewartet hatte, bereits an mir vorbeigefahren war. Nach etwa einer halben Stunde Wartens erblickte ich erneut einen 23er, ich stellte mich an die Straße, holte meine Buskarte heraus und machte mich bereit, einzusteigen. Aber in Norwegen funktioniert das mit dem Bus anhalten ein wenig anders, so dass die Fahrerin nicht hielt und einfach weiter fuhr.

Verdutzt und genervt stand ich nun also erneut im Regen. Eine Dame, die neben mir ebenfalls auf einen anderen Bus wartete, erklärte mir, ich hätte die Hand rausstrecken sollen. In diesem Moment wurde mir bewusst, wie weit die Heimat doch entfernt war.

Freitag, 2. Oktober 2009

Unsportlichkeit rächt sich

Um mein Lungenvolumen und damit einhergehend meine Kondition ist es leider nicht gut bestellt. Das ist bei mir nicht angeboren, sondern durch einen Faktor besonders bedingt: Das Rauchen. Ich genieße es, allerdings bin ich ein durchschnittlicher Raucher, was sich darin äußert, dass ich alle gesundheitlichen Symptome aufweise, die den Tabakkonsumenten belasten: ich verspüre wenig Lust, mich übermäßig zu bewegen, somit treibe ich kein Sport, ich fange leicht an zu schwitzen (obwohl ich glaube, dass das bei uns in der Familie liegt) und komme aus der Puste, wenn ich Treppen steigen muss.
Für das erste Problem gibt es öffentliche Verkehrsmittel, für das zweite Deo-Spray und für das dritte Rolltreppen.

Bergen zwingt mich leider dazu, mich anzupassen, was den letzten Punkt angeht. Natürlich gibt es hier Rolltreppen, aber die fahren leider nicht den Hügel hoch, auf dem sich das Uni-Gelände verteilt. Egal, ob ich eine Vorlesung, ein Seminar oder meinen Sprachkurs habe: an der Steigung komme ich nicht vorbei, was zwangsläufig entsprechend meinem zweitem Problem bedeutet, dass ich, noch bevor der Kurs losgeht, einen roten Kopf und durchgeschwitzte Klamotten habe. Das mag auf den ersten Blick nicht dramatisch erscheinen, aber man darf nicht die sozialen Folgen von Transpiration vergessen. Im Kopf des Transpiranten baut sich nämlich eine Spannung auf, eine Angst, gerochen zu werden, die in den meisten Fällen zwar vollkommen unbegründet ist, leider aber fatale Auswirkungen für den Transpiranten hat: er sucht seinen Platz außerhalb der Massen und grenzt sich so unnötig gesellschaftlich aus.

Im Kurs sitze ich daher jedes Mal, wenn ich den Hügel hochgeschnieft bin, alleine rechts oder links außen in den hinteren Reihen. Im Bus ist es schlimmer, denn anders als ich es gewöhnt bin, setzen sich die Menschen hier auf jeden freien Platz, auch neben mich in der letzten Reihe, wenn ich mal wieder eine andere Anhöhe hinter mich gebracht habe. Die Panik ergreift mich, wenn der Mann sich hinsetzt und sich so ausbreitet, dass er schon auf meinem Platz sitzt. Ich, schockgefroren, in der Sorge olfaktorisch negativ wahrgenommen zu werden, traue mich nichts zu sagen. Ich sitze dann eingeklemmt zwischen dreistem Unbekannten und Busfenster meine Zeit bis nach Fantoft ab, was im schlimmsten Fall 20 Minuten dauern kann. Aber nicht nur das: der enge Bewegungsfreiraum führt dazu, dass mir warm wird in meiner Jacke, ich sie aber nicht ausziehen kann.

Ich schwitze also noch mehr.

Dass ich wieder zu transpirieren anfange, merke ich dann noch an meinen Brillengläsern. Denn sie sind noch kühl vom in-der-Kälte-auf-den-Bus-warten. Die Temperatur in meinem Gesicht steigt aber wieder. Dank der Kondesation sind kurze Zeit später auch noch meine Gläser beschlagen. In solchen Momenten wünsche ich mir, ich hätte nie mit dem Sport aufgehört.

Aber wahrscheinlich ist Norwegen auch das falsche Land für mich, um sportlicher zu werden. Denn die durchschnittliche Kondition der Norweger ist beinahe olympisch. Jetzt sagen Sie sicherlich, welch eine Übertreibung. Aber kennen Sie Menschen, die mit ihren Hunden Berge hochjoggen?

Mein körperliche Unterlegenheit gegenüber ganz Norwegen musste ich schmerzlich am eigenen Leib erfahren. Als ich mich aufmachte, den Flöyen zu besteigen. Auf den Serpentinen, die die knapp 500 Meter hinaufführten, wurden meine Gruppe und ich von einem älteren Herren überholt - der auf Krücken laufend seinen Hund heraufführte.
Verdammte Zigaretten.